Das Gefühl eines Verlusts
Die Emotion Trauer kann vielfältige Ursachen haben. Sie ist immer durch einen Verlust ausgelöst. Ein geliebter Mensch stirbt, die Gesundheit hat Schaden genommen, die Arbeitsstelle geht verloren, Partnerschaften zerbrechen… Alleine die Erwartung eines Abschieds kann uns schon traurig machen. Wir fühlen uns matt, abgeschlagen und der Boden scheint uns anzuziehen.
Trauer ist ein Hilferuf. Das Bedürfnis, den alten Zustand wiederherzustellen oder eine Kompensationsmöglichkeit zu finden, äußert sich in dieser Emotion. Wir ziehen uns zurück, der Stoffwechsel verlangsamt sich und wir brauchen Ruhe zur Heilung.
Der mimische Ausdruck der Trauer ist gekennzeichnet durch das schräge Hochziehen der inneren Augenbrauen, die herabgezogenen Mundwinkel und der häufig nachunten gerichtete Blick.
Die Phasen der Trauer
Trauer ist eine Krise im menschlichen Dasein und wird individuell empfunden. Die Suche nach einer Lösung für unser ins Ungleichgewicht geratene System fordert einen aktiven Prozess, der sehr kraftzehrend sein kann. Es gibt nicht den Trauerprozess. In der Literatur sind Phasen der Trauer beschrieben, die bisher aber nur im Ansatz bestätigt werden konnten. Die vier Phasen Nicht-wahrhaben wollen, Aufbrechen der Emotionen, Suchen-Finden-Sich trennen und die Rückkehr in die Welt sind erkennbar, aber sie treten immer wieder auf.
Wie sagt Frau Kempkes in ihrem o.g. Buch: „ Trauer ist schlau.“ Immer dann, wenn es besser zu werden scheint, kommt sie aus dem Keller der Emotionen gekrochen und zieht den Trauernden wieder herunter. Trauer geschieht in Wellen, wie das übrige Leben auch. Ich bevorzuge das Modell des Dualen Prozesses von Stroebe und Schut. Es ist in dieser Vorstellung eines ständiges Hin und Her zwischen einem verlustorientierten Verarbeiten und einem wiederherstellungsorientierten Bewältigen. Ein Ping Pong zwischen aktiver Trauerarbeit und dem Finden neuer Rollen und Beziehungen, dem Loslassen und Zulassen.
Lassen Sie sich begleiten!
Unterstützung in Zeiten von Trauer muss begleiten, zuhören, gemeinsam schweigen, konkret helfen und mitfühlen. Die Wunde des Verlustes blutet zuerst stark und sobald die Trauerbewältigung beginnt, wirkt auch die Begleitung und legt erst einmal eine zarte Salbenschicht auf die Verletzung. Der Heilungsprozess muss von innen nach außen geschehen und nicht einfach zugedeckt und erstickt werden. Nur so kann die Trauer hilfreich und nachhaltig für das eigene System wirken.
Fragen Sie für diese Salbe nicht den Arzt oder Apotheker, sondern eine versierte Trauerbegleitung oder lesen Sie das Buch von Frau Kempkes.
Als Gefühlsdolmetscherin ist es mir wichtig zu reden, wo andere schweigen. Themen wie Sexualität in der Pflege, Ekel und Scham dürfen kein Tabu bleiben! “Die Angst zeigt den Weg!” ist einer meiner Maximen.
Mit Mut und Haltung finden wir eine Möglichkeit, diese Themen auch in Ihren Einrichtungen wertschätzend und mit Weitblick zu behandeln.
Hallo Marlis, was für ein schönes Bild, das mit der Salbenschicht.
Und ja: Ich bevorzuge auch das Model von Stroebe und Schut. Ich mag auch die Ansätze von Johan Maes sehr, bin aber nicht sicher, ob sie in Deutsch oder Englisch verfügbar sind. Er arbeitet auch zu Verlust bei gesundheitlichen Verlusten.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dies nochmal eine ganz andere Erfahrung ist als Tod. Stichworte: Living loss oder Nonfinite Loss. — auch für Angehörige und Freund*innen.
Noch mehr gilt dies für schleichende Verluste. Meine eigene Erfahrung hat mich zur intensiven Beschäftigung mit dem Thema Gesundheitliche Verluste und Trauer geführt — auch, weil ich die Erfahrung machen musste, dass nur sehr wenige professionelle Begleiter*innen sich damit auskennen und dass ich mich in wenigen Büchern dazu wiederfand. Welch eine Erleichterung war für mich die Entdeckung dieser Ideen völlig jenseits von Phasenmodellen. Wie menschlich, wie zutreffend.
Mich interessiert sehr, ob du da deine Verbindung zum Thema Demenz siehst. Ich kann mir vorstellen, dass es sehr viele Parallelen gibt und Dinge, die anders sind.
Ich freue mich, deine Seite hier entdeckt zu haben, ich liebe die Unerschrockenheit und Offenheit, alle Themen anzusprechen. Das brauchen wir!
Herzlich, Anne (aka SEHHELDIN)
Guten Tag Anne,
herzlichen Dank für Deinen Kommentar und die Wertschätzung meiner Arbeit.
Ich sehe sehr deutliche Verbindungen zur Demenz. Zu Beginn der Erkrankung nimmt der Betroffene sehr deutlich wahr, welche Verluste er schleichend erleidet. Quasi täglich heißt es Abschied nehmen: von Fähigkeiten, Erinnerungen, gesellschaftlichen Normen, der Häuslichkeit…ein Gefühl der Scham erfasst ihn und die Trauer wird eine Zeitlang sein Begleiter. Es muss Raum gegeben werden, diese Verluste zu verarbeiten und Ressourcen zu entdecken, die bisher verborgen waren. Menschen mit Demenz sind nicht per se bedauernswert! Sie können eine hohe Lebensqualität haben, nur ist ihre Welt eben ver-rückt, anders als unsere. Wer sind wir, sie zu bewerten? Prof. Hüther sagte einmal: Der Mensch mit Demenz kommt wieder bei sich selber an und ist im höchstem Maße mit sich verbunden, da die Kognition fehlt. Es ist reines Fühlen.
Bis jedoch dieser Zustand erreicht ist, sind viele Abschiede zu feiern, die thematisiert werden müssen und auch der Unterstützung bedürfen, finde ich. Ich durfte ein schwules Paar kennenlernen, wo ein Partner eine FTP hat. Ich beobachte seit ca. 3 Jahren den progredienten Verlauf der Erkrankung und auch den aktiven Trauerprozess. Mittlerweile hat der Kampf ein Ende und die beiden haben einen guten Weg gefunden, in dem sie sehr aktiv sind und neue Dinge für sich entdecken.
Verliere ich einen Menschen oder eine Fähigkeit, ist beides nicht mehr reversibel. Die Trauer erscheint mir in beiden Fällen sehr ähnlich. Entscheidend ist, dass ich das Gefühl durchfühle und es zulasse, damit ich im Anschluss Kompensationsmöglichkeiten für mich finde.
Ich will die Erkrankung nicht schön reden, denn sie ist eine Belastung für alle Beteiligten.
Ich weiß nicht, wie weit Du im Sehen eingeschränkt bist. Kannst Du Filme anschauen? Dann empfehle ich Dir “Das innere Leuchten” ein sehr eindrucksvoller Film zur Demenz.
Herzlichen Gruß, Marlis