Bild: pixabay / gaertringen
Gespräche mit Sterbenden
„Findet immer den Mut zu sprechen und den Willen Dinge zu klären, denn Stille wiegt schwer wie ein Stein. Und Steine werden zu Mauern und Mauern trennen Menschen.“ (Verfasser unbekannt)
Ich glaube, das schwierigste Gespräch, was Menschen führen müssen irgendwann einmal in ihrem Leben, ist das Gespräch mit Sterbenden.
Und wenn dann diese Sterbenden auch noch Angehörige sind, geliebte Menschen, dann wird es noch mal schwerer, weil die eigene Betroffenheit schwerer wiegt, man in seinen eigene Gedanken gefangen ist.
Angst ist die Hauptemotion solcher Gespräche
Jedes dieser Gespräche ist ein Gespräch gegen die Angst. Die Angst auf beiden Seiten.
Auf der Seite des Patienten, des Sterbenden:
- weil er geliebte Menschen zurück lassen muss,
- weil er Angst hat vorm dem Prozess des Sterbens,
- weil er Angst hat vor Schmerzen,
- weil er Angst hat vor der Ungewissheit.
Was kommt danach? Keiner kann’s erzählen.
Und der zurück Bleibende hat die großen Ängste:
- Wie komme ich alleine zurecht?
- Werde ich Hilfe finden?
- Werde ich durch diesen Trauerprozess durchgehen können ohne Schaden zu nehmen?
Seien Sie wahrhaftig!
Diese Angst zeigt sich, manchmal in Sprachlosigkeit, manchmal in Wut, manchmal in unsäglicher vorweg genommener Trauer.
Und wie sollen wir dieser Angst, dieser Sprachlosigkeit begegnen?
Es gibt kein Allgemeinrezept! Und ich habe sicherlich auch nicht DAS Schweizer Taschenmesser für Gespräche mit Sterbenden. Aber ich kann aus vielen Begleitungen sagen, dass das A und O Ehrlichkeit, Authentizität, Wahrheit am Krankenbett ist. Nicht drum herum reden.
Man kann auch wertschätzend Dinge aussprechen, die einem noch auf dem Herzen liegen, die man immer noch klären wollte.
Dinge, die man vielleicht noch fragen wollte. Dinge sagen, die man bisher noch nie gesagt hat.
Es gibt kein allgemeingültiges Rezept für das Gespräch mit Sterbenden
Es soll kein Schauspielern sein, es soll kein Verstecken sein. Es soll das Herz sprechen. Empathisch wollen wir sprechen.
Man kann in einem solchen Gespräch nichts falsch machen. So lange man empathisch, wertschätzend reagiert.
Vorwürfe zu machen, hat am Krankenbett keinen Sinn, denn das sind lang vergangene Dinge, die man jetzt nicht mehr lösen kann auf den letzten Metern. Entscheiden ist, dass auch eigene Gefühle angesprochen werden. Schildern Sie dem Sterbenden, wie Sie sich dabei fühlen, welche Ängste Sie haben.
DIE große Frage am Lebensende im Angesicht der Endgültigkeit
Und dann kommt die große Frage. Was war das, unser Leben?
Ich möchte Sie einladen, nicht nur auf den Verlust zu schauen, sondern auch zu thematisieren, was man alles gemeinsam erlebt hat, was man geschafft hat. Wie viele schöne Momente es im Leben gab.
Vielleicht, dass man wunderbare Kinder miteinander hat, Enkelkinder.
Vielleicht auch ein Haus gebaut, wunderbare Reisen gemacht.
Mal ausgebrochen ist, irgendwelche Partys, an die man sich erinnert.
Thematisieren Sie auch diese Dinge. Sie nehmen dem Ganzen die Schwere. Sterben ist für beide Seiten nicht leicht. Natürlich nicht, weil es so endgültig ist.
Und dem, der zurück bleibt, dem wird diese Endgültigkeit auch ganz schmerzhaft bewusst.
Dass es kein Zurück mehr gibt. Dass es nur noch ein nach vorne gibt. Aber in getrennte Richtungen.
Und das ist wahrscheinlich das, was sich so schwer aushalten lässt.
Die Zukunft ansprechen
Wenn es für beide stimmig ist, ist es auch eine Möglichkeit über die Zukunft zu reden. Das scheint Ihnen sicherlich jetzt ganz schwer vorstellbar.
Wenn Sie zum Beispiel Ihren Vater verlieren, Ihre Mutter verlieren, ja was hat Zukunft damit zu tun? „Ich kann meiner Mutter doch jetzt nicht erzählen, wie wird es sein wird ohne sie.“ Aber Sie können eine Vision entwickeln mit ihr. Was sie sich für Sie wünscht, was Sie sich wünschen. An was Sie sich immer erinnern werden, wenn von ihr oder ihm die Rede ist.
Das macht es beiden Seiten leichter, gemeinsam empfundene Erlebnisse, gemeinsames Lachen miteinander.
Man darf auch am Sterbebett lachen.
Humor ist Medizin für die Seele, für die trauernde Seele.
Das Loslassen aussprechen
Und irgendwann wird der Moment kommen, dass Sie dem sterbenden Menschen sagen können: „Du darfst gehen!“
Und auch wenn Sie den Eindruck haben, dass der Mensch gar nicht mehr bei Bewusstsein ist, es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Ohren, das Hören der letzte Sinn ist, der geht. Auch jetzt können und sollen Sie noch weiter mit dem Sterbenden sprechen und ihm sagen: „Alles ist gut“, „Du hast dich auf einen Weg gemacht und ich lasse dich frei“.
Das mag sich vielleicht jetzt erst mal sehr befremdlich anhören, denn man möchte ihn nicht frei lassen, man möchte, dass er bleibt. Man möchte nicht ohne ihn leben.
Dennoch trennen sich die Wege irgendwann und das ist nicht mehr in unserer Macht. Da werden wir auch nicht mehr helfen können.
Palliative Sedierung als eine Möglichkeit der Unterstützung
Und wenn der sterbende Mensch sehr starke Schmerzen hat und immer wieder darum bittet „Wann ist es endlich vorbei? Ich halte es nicht mehr aus! Bitte erlöst mich!“?
Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Aber was möglich ist, ist eine palliative Sedierung.
Das heißt, der Mensch schläft im wahrsten Sinne des Wortes auf die andere Seite hinüber.
Dafür ist aber sein Wille, sein bekundeter Wille notwendig. Reden Sie frühzeitig über die Möglichkeit, sowohl mit dem Arzt als auch mit Ihrem Angehörigen, Zugehörigen, mit diesem Menschen, den Sie begleiten, ob das für ihn eine Option wäre. Manche möchten ihren Tod auch ganz aktiv miterleben, soweit es eben möglich ist. Manche sehen auch Leiden als Lebenszweck.
Wir haben keine Stunde in den Schuhen des anderen gestanden und jeder stirbt seinen eigenen Tod.
Bedürfnisorientiert sterben
Und es ist mir sehr wichtig, Ihnen zu sagen: Bitte lassen Sie dem Sterbenden seine Autonomie, soweit es irgendwie geht. Er bestimmt sein Tempo selber.
Seien Sie nicht traurig, wenn der Mensch genau in dem Moment seinen letzten Atemzug tut, während Sie gerade den Raum verlassen haben, sich vielleicht eine Tasse Kaffee geholt haben, sich vielleicht eine warme Jacke angezogen haben.
Ich weiß wie sich das anfühlt. Ich habe Stunden bei meiner Mutter gesessen, bin nur kurz heraus gegangen, es waren keine fünf Minuten und als ich wiederkam, war sie verstorben.
Aber es war gut so. Denn viele Menschen können im Sterbeprozess dann nicht ertragen, wenn ihre Liebsten bei ihnen sind. Sie möchten alleine gehen. Menschen spüren das!
Und wenn dann solche Sätze kommen wie „Ich glaube, da kommt der Bus, mein Zug fährt gleich, hast du meine Tasche gepackt, “ können das Zeichen dafür sein, dass die letzte Phase eingeläutet ist. Die Sterbenden spüren, der Sterbeprozess ist da, die finale Phase, es wird jetzt bald soweit sein.
Gott gab uns zwei Ohren und einen Mund, damit wir mehr hören als reden.
Ich möchte ihnen noch ein kleines Zitat aus dem Buch „Momo“ von Michael Ende mitgeben, in dem es um das Zuhören geht:
„Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist nichts Besonderes, wird nun mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie ihn ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder, dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder, dass Unglückliche oder Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf — und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören.“
Berührungen sind nicht immer notwendig
Einen Sterbeprozess zu begleiten, heißt auch häufig einfach nur da sein. Es geht noch nicht mal um Berührung. Wenn Sie den Menschen berühren möchten, legen Sie Ihre Hand unter seine. Dann kann er selber entscheiden, ob er sie greifen möchte oder nicht. Sie halten ihn nicht fest, sondern geben Halt, falls gewünscht.
Manchmal reicht es, wenn Menschen nur im Raum sind, einfach nur da sind, einfach nur zuhören.
Und dann redet die Stille.
Beide Seiten brauchen eine Pause vom Sterben
Ein letzter Impuls: Beide Seiten, sowohl der Begleitende als auch der Sterbende, brauchen auch schon mal eine Pause vom Sterben. Was meine ich damit? Sie dürfen auch über leichte Dinge reden. Sie dürfen sich auch eine Auszeit nehmen. Beide Seiten.
Was für den einen der Schlaf ist, ist für den anderen vielleicht die kleine Runde um den Block.
Verausgaben Sie sich nicht ganz! Das würde Ihr Liebster auch nicht wollen. Sie brauchen Ihre Kraft noch.
Wissen Sie, das ist wie als wenn Sie in einem Flugzeug sitzen.
Sie müssen zuerst sich die Atemmaske aufsetzen bevor Sie anderen Menschen helfen können und denen die Maske aufsetzen. Und genau so ist es auch im Sterben.
Ich wünsche Ihnen gute, achtsame, wertvolle, liebevolle Gespräche.

Als Gefühlsdolmetscherin ist es mir wichtig zu reden, wo andere schweigen. Themen wie Sexualität in der Pflege, Ekel und Scham dürfen kein Tabu bleiben! “Die Angst zeigt den Weg!” ist einer meiner Maximen.
Mit Mut und Haltung finden wir eine Möglichkeit, diese Themen auch in Ihren Einrichtungen wertschätzend und mit Weitblick zu behandeln.
Vielen lieben Dank für deinen Beitrag
LG Edith
Liebe Edith,
danke für Dein Feedback und teile ihn gerne, wenn er anderen Menschen hilfreich sein kann.Schau’ auch gerne auf meinen YouTube Kanal, dort findest Du auch Videos zu den Themen Sterben, Tod und Trauer.
Danke für diesen tollen Beitrag… werde hier auch in Zukunft zurückgreifen DANKE !!!! Liebe Grüße Mia
Liebe Mia,
vielen Dank für Deine Wertschätzung. Ich wünsche Dir, dass Du immer die richtigen Worte findest oder das Schweigen redet. Alles Gute.
Meine Mutter arbeitet in der Palliativpflege. Schön zu lesen, dass die Angst meist ein großes Thema hier ist. Doch das Ungewisse kann nicht umgangen werden.
Sehr geehrte Frau Lamers,
selbst habe ich nach dem Tod meines Vaters eine Ausbildung zum Sterbebegleiter gemacht. Dann kam Corona u ich konnte nicht in das Hospiz, um zu unterstützen.
Nun gehe ich mit meiner Mutter den letzten Weg. Ihre Worte: auf sich achten und auch mal eine Pause voneinander machen, sind so wichtig. Danke für die Gedanken, denn das schlechte Gewissen plagt schon mal. Und Lachen, ja gemeinsam. Tut so gut.
Liebe Heike,
herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung. Schön, dass ich Ihnen eine kleine Hilfe geben konnte. Ich wünsche Ihnen eine gute, friedvolle Zeit auf dem Weg mit Ihrer Mutter und die nötige Kraft, auf sie und sich zu achten.