Alters­se­xua­li­tät in der Pflege

Sexua­li­tät im Zusam­men­hang mit dem Thema Pflege und dann auch noch im Hos­piz oder einer Senio­ren­ein­rich­tung mutet für viele Zeit­ge­nos­sen befremd­lich an. Wer mag sich schon den Sex sei­ner Eltern vor­stel­len? Wie kann  Lust ent­ste­hen, wenn ich lebens­ver­kürzt erkrankt bin? In einer Umge­bung, die in der Vor­stel­lung der meis­ten Men­schen von Tod und Trauer beherrscht wird?

Arthur Scho­pen­hauer, ein deut­scher Phi­lo­soph (1788 – 1860) schrieb: „Die Geni­ta­lien sind der Reso­nanz­bo­den des Gehirns.“  Sexua­li­tät ist ein Grund­be­dürf­nis des Men­schen, wie Essen und Trin­ken, essen­ti­ell. Sie inte­griert „psy­chi­sche, emo­tio­nale, intel­lek­tu­elle und soziale Aspekte auf eine Weise, die Bezie­hung des Lebens und Stär­kung von Per­sön­lich­keit, Kom­mu­ni­ka­tion und Liebe zur Folge hat.“ (WHO, 1975).

 

Facet­ten der Sexualität

Aber was ver­ste­hen wir unter Sexua­li­tät? Ist es wirk­lich nur die kör­per­li­che Ver­ei­ni­gung zweier Men­schen oder gehört noch viel mehr dazu? Die eigene Sozia­li­sa­tion und Refle­xion die­ses Bedürf­nis­ses defi­niert die Bedeu­tung des Wor­tes. Uns fal­len Begriffe wie Berüh­rung, Ero­tik, Inti­mi­tät, Liebe und  Lust ein. Ent­span­nung, Orgas­mus, Strei­cheln oder Küs­sen. Je nach­dem in wel­chem Kon­text wir über die Bedeu­tung des Wor­tes dis­ku­tie­ren und wer mit wem sich dar­über aus­tauscht fal­len auch Begriffe wie Pet­ting, Ficken, Pene­trie­ren, Bla­sen oder ähnliches.

 

Berüh­run­gen sind Leben

Fest steht, dass das Bedürf­nis der Men­schen nach Berüh­rung erst mit dem Tod endet. ….Stein­beiß stellt die These in den Raum, dass vier herz­li­che Umar­mun­gen täg­lich das Exis­tenz­mi­ni­mum dar­stel­len. Bei acht ehr­li­chen Umar­mun­gen spricht sie von Wohl­be­fin­den und 12 inten­sive Berüh­run­gen beschreibt sie als not­wen­dig zur Persönlichkeitsentfaltung.

 

Ein Tabu­thema im 21. Jahrhundert

Den eige­nen Kör­per wie­der spü­ren, fremde Haut emp­fin­den und sich als Mann, Frau oder LGBT­QIA*  füh­len , machen das Aus­le­ben der Sexua­li­tät in jedem Lebens­al­ter wich­tig. Lei­der gilt die­ses Thema auch im 21. Jahr­hun­dert immer noch als Tabu. Kör­per­lich­keit wird in der Gesell­schaft im Zusam­men­hang mit Pflege mehr­heit­lich ver­drängt. Die ein­deu­ti­gen Hil­fe­rufe der Bewoh­ner wer­den tap­fer igno­riert. Der alte Mann, der der Pfle­ge­kraft an den Busen fasst, gilt als über­grif­fig. Die ältere Dame, die sich immer wie­der Gegen­stände in die  Scheide ein­führt, wird als unnor­mal ange­se­hen. Eri­gierte Penisse am Mor­gen sind immer wie­der Anlässe zu Unmuts­äu­ße­run­gen und scham­be­haf­te­ten Situa­tio­nen im Pflegealltag.

 

Ange­passte Pflegeprozesse

Solange in den Köp­fen vie­ler Men­schen die Sexua­li­tät immer noch als Tabu ange­se­hen wird, mit der man sich nicht wirk­lich selbst­re­flek­tie­rend aus­ein­an­der­setzt, wird sich für Pfle­ge­be­dürf­tige nichts ändern. Da braucht es Mut, neue Wege zu gehen. Es ist unab­ding­bar, gut aus­ge­bil­de­tes Fach­per­so­nal von außen hin­zu­zu­zie­hen, wenn man in der Ein­rich­tung Sexua­li­tät für die Bewoh­ner erleb­bar machen möchte. Men­schen, die die Bedürf­nisse der alten Bewoh­ner wahr­neh­men. Die mit Anders­ar­tig­keit und unkon­ven­tio­nel­len Vor­stel­lun­gen umge­hen und sie ein­ord­nen können.

 

Selbst­be­stimmt leben, recht­lich festgestellt

Nach­fol­gende Gene­ra­tio­nen wer­den auf die Aus­übung ihrer Sexua­li­tät auch in einer Senio­ren­ein­rich­tung nicht ver­zich­ten. Sie sind völ­lig anders sozia­li­siert wor­den und haben mehr­heit­lich ein freie­res Kör­per­ver­ständ­nis. Sie gehört zur Leben­dig­keit und gibt den Men­schen eine Iden­ti­tät.

Mit wel­chem Recht ver­weh­ren Ein­rich­tun­gen oder das Umfeld es ihnen? Was maßen sich Ange­hö­rige an, die den Kon­takt zwi­schen ihrem Eltern­teil und einer neuen Liebe in der Ein­rich­tung unter­bin­den wol­len? Voll­macht­neh­mer, die kein Geld für Sexu­al­be­glei­tung, Gleit­creme oder por­no­gra­fi­sche Zeit­schrif­ten frei­ge­ben? DAS ist über­grif­fig und schränkt das im Arti­kel 2 des Grund­ge­set­zes der BRD fest­ge­schrie­bene Recht auf die freie Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit ein.

Haben Sie sich schon ein­mal Gedan­ken dar­über gemacht, wie Sie Ihre Sexua­li­tät im Pfle­ge­fall leben möch­ten? Tun Sie es und vor allen Din­gen schrei­ben Sie es auf, damit auch Ihr Umfeld Ihre Wün­sche kennt.

(*les­bisch, schwul, bise­xu­ell, trans­se­xu­ell, trans­gen­der, que­ere, inter­se­xu­ell, asexuell)

 

…dazu pas­send mein Work­shop „Sexua­li­tät in der Pflege“, siehe Ter­mine oder meine Video­se­rie auf mei­nem You­Tube Kanal 

Marlis Lamers - Kommunikation Wortlos

Als Gefühls­dol­met­sche­rin ist es mir wich­tig zu reden, wo andere schwei­gen. The­men wie Sexua­li­tät in der Pflege, Ekel und Scham dür­fen kein Tabu blei­ben! “Die Angst zeigt den Weg!” ist einer mei­ner Maximen. 

Mit Mut und Hal­tung fin­den wir eine Mög­lich­keit, diese The­men auch in Ihren Ein­rich­tun­gen wert­schät­zend und mit Weit­blick zu behandeln.